Die extreme Weltlage erfordert den Aufbau einer konsequent sozialistischen und internationalistischen Partei zum Anführen einer revolutionären Massenbewegung. Den besten Nährboden für eine solche Partei bietet in Deutschland momentan Die Linke. Antiimperialistische und antikoloniale revolutionäre Sozialist*innen innerhalb und außerhalb der Partei sollten diese Aufgabe gemeinsam angehen, meint Emi Parvus.
Einleitung
Ein Wahlergebnis von 8,8 %, 6 gewonnene Direktmandate, mehr als doppelt so viele Mitglieder wie nach dem Austritt von Sahra Wagenknecht – die Partei Die Linke scheint zurück zu sein! Auch wenn die neue Zusammensetzung des Bundestags einen weiteren Rechtsruck darstellt – die AfD mit einem Fünftel aller abgegebenen Stimmen auf doppeltem Wert, die Union mit einem Blackrock-Aufsichtsrat als Kanzlerpartei, die Mehrheiten mit den Faschisten der AfD eingeht – für Die Linke ist nun eine Zeit angebrochen, in der sie sich als „soziale Opposition“ wieder bewähren kann und ihren Gebrauchswert für eine soziale und ökologische Gesellschaft zeigen kann. Denn während die herrschende Klasse auf weitere Verschärfung der Ausbeutung von Mensch und Natur setzt, muss eine linke Opposition für eine ökosozialistische Transformation einstehen, damit eine gesamtgesellschaftliche globale Bewegung eine lebenswerte Welt bewahren kann. Eine konsequente Opposition muss aussprechen, was in der extremen Weltlage notwendig ist: ein revolutionärer Bruch mit dem Kapitalismus.
Die Partei Die Linke (PdL) kann ihre neu gewonnene Stärke allerdings auch verspielen, wenn sie weiterhin auf die nächste Regierungsbeteiligung, etwa nach einer Phase der Bewährung als Oppositionskraft, setzt. Auf die Frage der mittelfristigen Zukunft verlautbarte der Ko-Vorsitzende der PdL Jan van Aken auf der ersten Pressekonferenz zu den Ergebnissen der Bundestagswahl, „Unser Ziel ist immer zu verändern… [Da ist es] relativ egal, ob sie mitregieren oder nicht mitregieren. Wenn sie keine gesellschaftlichen Mehrheiten haben, dann können Sie es [sic] nicht verändern. Und deshalb ist es mein Ziel, und das ist unser Ziel hier als Führungsspitze der Linken und der Gesamtpartei: Wir wollen die gesellschaftlichen Mehrheiten schaffen. Und das geht nur, wenn wir stark im Parlament sind und stark außerhalb des Parlaments. Die Regierungsfrage, die immer so nach vorne zu stellen, ich verstehe es gar nicht. Weil es kann sein, dass man mitregiert, aber man hat überhaupt keine Macht, wenn man die gesellschaftlichen Mehrheiten nicht hat. […] Die Linke hat damals den Mindestlohn als erstes gefordert und wir haben am Ende die gesellschaftliche Mehrheit dafür mobilisiert und am Ende kam der Mindestlohn, ohne dass wir mitregiert haben. […] Die Frage ist, wie wollen Sie die Veränderung schaffen und da haben wir einen sehr genauen Plan.“ Die Schwierigkeiten an Regierungsbeteiligungen bringt van Aken damit zwar zum Ausdruck. Eine mögliche Regierungsbeteiligung in mittelfristiger Zukunft schließt er allerdings nicht aus.
Eine eindeutige Absage zur Regierungsfrage wäre für eine linke Partei, die das Parlament dafür nutzt, um „gesellschaftliche Mehrheiten“ zu schaffen, ein so essentieller Punkt, dass die Antwort von van Aken nicht zufriedenstellend ist. Denn es lässt offen, was jene gesellschaftliche Kraft ist, die Veränderung erreichen kann. Eine sozialistische Partei kann (und muss) eine führende Rolle dabei einnehmen, letztendlich wird Widerstand gegen die kapitalistische Krisenpolitik unserer Tage aber nur durch Massenbewegungen zu gewinnen sein. Die tatsächlich innerhalb des Kapitalismus erreichbaren Veränderungen sind das, was Massenbewegungen der herrschenden Klasse an Reformen abringen können und in dem Zuge an alternativen gesellschaftlichen Institutionen selbst erschaffen. Die Offenheit für Regierungskoalitionen, die bereits im Parteiprogramm der Linken von 2011 festgelegt ist, führt jedoch dazu, dass jene politische Kraft, die Orientierung in der nötigen ökosozialistischen Transformation geben könnte, ihre politischen Positionen an diejenigen ihrer möglichen Koalitionspartner anpasst. Dabei bräuchte es dringend eine Linke, die ohne Angst darum die Zustimmung anderer vermeintlich „progressiver“ Parteien und deren Wählerbasis zu verlieren Alleingänge parlamentarischer und vor allem außerparlamentarischer Art macht.
Bisher drückt sich in der Worten Jan van Akens nur eine alte Schwäche der Linkspartei aus: Sie ist sehr gut darin, radikale Forderungen für Reformen aufzustellen. Und sehr schlecht darin, die Bewegungen zur Umsetzung derselben aufzubauen. Um wirkliche Veränderung im sozialistischen Sinn zu erreichen, braucht Die Linke also einen besseren Plan, als die jetzige Führungsspitze zu haben vorgibt. Dafür muss sie endlich zu einer tatsächlich sozialistischen Partei werden.
Ich selbst bin erst vor vier Jahren in Die Linke eingetreten. Vor einem 2-jährigen Aufenthalt in Irland hat mich Die Linke nicht interessiert. Ich war Antikapitalist, Klimaaktivist und Anarchist. In Irland konnte ich mich durch die Partei „People Before Profit“ von einer ökosozialistischen Politik überzeugen lassen. Während der Pandemie hatte ich wöchentliche Zoom-Treffen mit meiner Ortsgruppe mit Vorträgen von führenden Genoss*innen der Partei zu aktuellen, theoretischen und historischen Themen aus dezidiert marxistischer Perspektive.1 Bei meinem Rückzug nach Deutschland bot sich mir bezüglich der PdL, in der ich sogleich eintrat, ein entgegengesetztes Bild: eine Partei, die ihre Mitglieder nicht schult; eine Führung, die man nicht kennt; eine uneindeutige politische Linie… Ein flüchtiger Blick auf die außerparlamentarische Bewegung war ähnlich ernüchternd, gab es doch so viele zerstrittene kleine Gruppen mit undurchschaubaren Abgrenzungen voneinander. Erst nachdem ich nach Berlin gezogen war und im Wedding eine Basisorganisation der Linken gefunden hatte, die Politik in meinem Sinn machte, konnte ich mich zufrieden geben in der PdL. Dabei machte ich auch dort in der Berliner Wiederholungswahl für den Bundestag Wahlkampf für eine Partei, deren konkrete Politik ich nur mit Bedenken unterstützen konnte.
In der Linken zu sein, heißt für mich daran zu glauben, was sie sein könnte. Der Ausgangspunkt dieser Partei ist dabei nicht schlecht: eine dem Programm nach demokratisch-sozialistische Partei links von SPD und Grünen, die sich auf die revolutionäre kommunistische Tradition Deutschlands berufen kann. Wie einleitend angedeutet, ist der Charakter der PdL als sozialistische Partei allerdings fragwürdig. Als sozialistische Partei hätte Die Linke die Aufgabe, eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus zu erkämpfen. Sie hätte sich auf die historischen Erfahrungen in diesem Kampf zu berufen; hätte durch Anwendung der historisch-materialistischen Methode die Weltlage zu analysieren; und sie hätte Orientierung zu geben, welche globalen Kämpfe gegenwärtig darin zu unterstützen sind, um das kapitalistische Weltsystem zu schwächen und die neue, sozialistische Gesellschaft aufzubauen. Die PdL mag diesem Ideal in Teilen gerecht werden.2 Sie befallen allerdings gleichzeitig programmatische und praktische Schwächen, die dem Aufbau einer sozialistischen Partei im Weg stehen.
Mit diesem Artikel möchte ich dazu beitragen, dass der erfreuliche Aufschwung der Partei für das Ziel genutzt wird, endlich eine dezidiert sozialistische Partei aufzubauen. Denn in der extremen Weltlage ist Revolution genauso wichtig wie eine Massenorganisation, welche die dann mögliche ökosozialistische Transformation anführen kann, indem sie die demokratischen Strukturen bereitstellt, in denen programmatische Diskussionen zur Umgestaltung der Gesellschaft geführt werden können. Dem Anliegen wie die Linke eine sozialistische Partei werden kann nähere ich mich an durch eine Reihe von einfachen Fragen, für die ich in den letzten 4 Jahren vorläufige Antworten gefunden habe. Hiermit stelle ich sie lediglich zur Diskussion.
Warum gibt es die Linke eigentlich (noch)?
Die Linke entstand 2007 als Zusammenschluss aus der PDS (ehemals SED) mit der WASG (einer Abspaltung der SPD). Zum Teil hat sie also staatssozialistischen Ursprung, zum Teil sozialdemokratischen. Durch die Gründung konnte auf Bundesebene eine Partei links der SPD und der Grünen etabliert werden. Als Oppositionskraft konnte sie entscheidende Impulse in sozialen Bewegungen gegen die neoliberale Politik der Herrschenden setzen. Doch als plurale Partei hat sie von Beginn an einen starken reform- und parlamentorientierten Flügel gehabt, dessen Ziel es immer war, in Regierungen mit SPD und Grünen zu gehen. Durch die Mitarbeit in Regierungen wurde sie schließlich eine Partei ohne Biss. Sie wurde zu einer kleinen SPD/Grünen mit dem uneinlösbaren Versprechen, ihr ansonstenradikales Programm in Regierungskoalitionen umzusetzen. Die Radikalität der Reformvorschläge im Parteiprogramm war dabei nie das Problem. Sie hätten genutzt werden können, um den Bewegungen der Zeit Orientierung und eine Stimme im Parlament und in der Öffentlichkeit zu geben. Doch die Linke möchte “verändern”. Das heißt, sie möchte selbst die glorreiche Rolle der Verändernden spielen und sie nicht den sich selbst organisierenden Menschen auf den Straßen und in den Betrieben diese Rolle überlassen.
Als plurale linke Partei hat die Linke ein Nebeneinander verschiedener Strömungen, die sich teils gegenseitig behindern. Neben einem eher linken Flügel hat sie ebenso einen starken reformorientierten Flügel auf der Rechten. Dieser lässt sich auf die Entstehungsgeschichte aus der SPD und der PDS sowie auf fehlende marxistische Bildung zurückführen, hat aber seine Basis in der parlamentarischen Praxis der Linken. Mit ihrem Wahlprogramm tut die Linke regelmäßig so, als ließen sich ihre Forderungen allein durch eine linke Regierung durchsetzen. Unter den gegebenen Kräfteverhältnissen könnte sie aber höchstens Juniorpartnerin von zwei bürgerlichen Parteien sozialdemokratischen und umweltbewegten Schlags sein (wie in Bremen und Schleswig-Holstein oder vormals in Thüringen und Berlin). Dabei muss ihr Profil als sozialistische (und im eigentlichen Sinne demokratische) Partei abhandenkommen. Das führt dazu, dass sie sich beispielsweise durch falsche Positionierungen aufseiten imperialistischer Kriegstreiber als Friedenskraft überflüssig macht. Die Positionierung der PdL lässt sich in den meisten Fällen auf das Finden von Kompromissen von linkem und rechtem Flügel zurückführen. Die grundsätzliche Entscheidung, ob sich in den Strukturen des kapitalistischen Staats Veränderungen von oben herab herbeiführen lassen, wird stets ausgeklammert.
Die Linke hat in den letzten fünf Jahren zur Genüge bewiesen, dass sie als sozialistische Partei keine Opposition zur herrschenden Klasse darstellen kann. Während Corona schwenkte sie auf den Regierungskurs ein, um die Einschränkung gesellschaftlichen Lebens mitzutragen, während Ansteckungen am Arbeitsplatz weiterhin akzeptiert wurden. Im Ukrainekrieg versäumt es Die Linke seit dem Kriegseintritt Russlands 2022 die NATO für ihren Eskalationskurs zu kritisieren und deckt damit den westlichen Imperialismus. Während des Genozids in Palästina wahrt sie immer noch eine äquidistante Position zwischen den Konfliktteilnehmern, als wäre Israel trotz allem ein erhaltenswürdiger Staat. In den drei genannten Beispielen zeigt sich, dass die Führung der Linken, so wie sie sich aus den Kräfteverhältnissen innerhalb der Partei ergibt, sich nicht staatskritisch äußern kann. Der Einfluss jener Regierungssozialist*innen, für die ein Mitregieren innerhalb des kapitalistischen Staats eine vielversprechende Strategie ist, macht aus der Partei eine unbrauchbare und überflüssige Partei.
Gerade angesichts ihrer mangelnden Solidarität mit Palästina stellt sich seit Oktober 2023 die Frage, warum es die Linke überhaupt noch gibt (und ob es nicht doch besser wäre, außerhalb von ihr organisiert zu sein). Mit der Unterstützung eines Entschließungsantrags in Solidarität mit Israel, lanciert von der Bundesregierung und der Union, leistete nämlich auch die Fraktion der Linken im Bundestag der Kriminalisierung der palästinasolidarischen Bewegung Vorschub und verlieh dem Narrativ der Herrschenden, dass Israel sich mit allen Mitteln „verteidigen“ könne, eine vermeintlich linke Glaubwürdigkeit. Einen antikolonialen Blick ließ die Fraktion damit komplett vermissen. Die Partei muss sich nicht eine Unterstützung des terroristischen Anschlags am 7. Oktober zueigen machen, um den von Besatzung betroffenen Bewohnern Gazas ein Recht auf Widerstand einzuräumen. Was seitdem als „Verteidigung Israels vor Terroristen“ verkauft wurde, ist ein Völkermord mit der Absicht „Großisrael“ von allen Palästinenser*innen zu bereinigen. Als sozialistische Partei hätte Die Linke eigentlich Partei ergreifen müssen, um in Gaza „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“(Marx 1843).
An der Basis regte sich seitdem Unmut gegen die Führung der Linken. Auf Bezirksversammlungen in Neukölln und Mitte wurden Anträge eingereicht, die eine palästinasolidarische Positionierung der Partei forderten. Diese Initiativen führten schließlich zum von bürgerlichen Medien fabrizierten „Eklat“ um Antisemitismus in der Linken. Der Landesparteitag in Berlin beschloss einen veränderten Antrag „Für den Schutz jüdischen Lebens und gegen jeden Antisemitismus“ auf eine Weise, dass das ursprüngliche Anliegen – jegliche Palästinasolidarität als antisemitisch zu diskreditieren – revidiert wurde und stattdessen eine Bekräftigung formuliert wurde, den Kampf gegen Antisemitismus tatsächlich ernst zu nehmen. Dass dafür Antisemitismus von Antizionismus (also der Kritik an der Vertreibung der Palästinenser durch Israel) getrennt wurde, stieß einigen prominenten Genoss*innen wie Klaus Lederer und Elke Breitenbach so auf, dass sie den Saal wütend verließen und später auch die Partei, wie Carlos Quiñones in seinem Artikel beschreibt.
Diese Auseinandersetzungen auf dem Berliner Landesparteitag sowie auf dem Bundesparteitag 2024 führten glücklicherweise bereits dazu, dass einige Genoss*innen vom rechten Rand der Partei ausgetreten sind. Andere, formiert im Zusammenschluss “Progressive Linke”, verkündeten trotzig, dass sie bleiben wollen, um in der Linken weiterhin “für das Überleben der Linken [zu] kämpfen und dafür [zu] streiten, dass sie eine ernstzunehmende linke Kraft wird, die auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bessere Antworten hat als Zitate aus dem 19. Jahrhundert.” Die namhafte Liste von Linke-Mitgliedern, zu denen auch der ehemalige Vorsitzende Martin Schirdewan sowie MdB Martina Renner und der Bremer Landesvorsitzende Christoph Spehr gehören, kündigen an, sich “besser organisieren und lauter werden” zu wollen. Wie sich auch in einer Erklärung vom September 2024 lesen lässt, betonen sie die “Teilhabe an demokratischer Machtausübung, sprich parlamentarische Opposition und Regierungsbeteiligungen” (eigene Hervorhebung). Um links der Mitte “konkurrenzfähig“ zu sein, soll die Linke sich etwa für Waffenlieferungen an die Ukraine und Israel aussprechen, wie eine polemische Darstellung der bisherigen außenpolitischen Position der Linken zum Ausdruck bringt: „Frieden um jeden Preis und ohne Militär heißt dann auch, die Ukraine preiszugeben. Rüstungsexporte prinzipiell auszuschließen, heißt am Beispiel von Israel dann auch: Das Risiko eingehen, dass der Staat Israel in einem Konflikt mit denjenigen Staaten und Milizen der Region, die sein Existenzrecht nicht anerkennen, möglicherweise untergeht.“
Von rechter Seite wird also längst darauf hingearbeitet, die Linkspartei umzukrempeln. Die Genoss*innen der sogenannten „Progressiven Linken“ wollen “Menschen, die bei SPD und Grünen keine Perspektive mehr für sich sehen” aufnehmen und “werben um Menschen, die die Erfahrung machen, dass das Engagement in Bewegungen, NGOs, Initiativen allein nicht ausreicht, um grundlegende Spielregeln der Gesellschaft zu verändern”, wie sie Ende Oktober schreiben. Mit anderen Worten: Die Tore der Partei Die Linke sollen weit geöffnet werden für Menschen mit linksliberalen Vorstellungen über gesellschaftliche Veränderung. Schon auf dem Bundesparteitag 2023 forderte die „Progressive Linke“ in einem Antrag eine Änderung des Parteiprogramms. Schließlich befänden wir uns in einer veränderten Weltlage seitdem das Erfurter Programm beschlossen wurde:: „Es haben sich neue Widersprüche im Land, in Europa und der Welt ergeben. Dazu zählen konkrete Krisen wie die Klimakatastrophe und die Pandemie oder auch Verwerfungen an den Finanzmärkten. Darüber hinaus erleben wir, wie zunehmender Autoritarismus und neoimperialistische Konflikte bis hin zu Kriegen das Überleben von Menschen weltweit gefährden. Zugleich müssen wir politisch auf unterschiedliche gesellschaftliche Entwicklungen reagieren. Der demographische Wandel und globale Migrationsbewegungen wirken sich ebenso auf unser Zusammenleben aus wie der technologische Wandel und Veränderungen in der Wirtschaft und der Arbeitswelt.“ Der vorherige Parteivorsitz mit Janine Wissler und Martin Schirdewan machte sich diese Analyse bereits teilweise zu eigen und beschloss mit dem Vorstand einen Weg zur programmatischen Debatte, vorbereitet durch eine Arbeitsgruppe, die den Prozess nach der Bundestagswahl anzuleiten hätte (zu einem Zeitpunkt, als die Bundestagswahl erst im September 2025 erwartet wurde).
Es fällt auf, dass die „Progressive Linke“ mit ihrer Rede von „zunehmendem Autoritarismus und neoimperialistischen Konflikten“ eine Annäherung an den bürgerlichen Diskurs von autoritären Staaten im Osten vollzieht. Länder also, die den faschistisch-kolonialen Überfall Nazideutschlands abgewehrt, und sich aus kolonialer Unterdrückung befreit haben, werden nach typisch westlich-marxistischer Art als autoritär und undemokratisch abgestempelt.3 Das emanzipatorische Potenzial, das im BRICS-Projekt durch die antikoloniale Stoßrichtung besteht, wird nicht anerkannt. Mit der Forderung nach Waffenlieferungen verweigern sie sich stattdessen diplomatischen Lösungen und fördern die deutsche Kriegsindustrie. Durch diese programmatische Rechtsverschiebung möchte die Progressive Linke erreichen, dass der Linken mehr Regierungskompetenz zugesprochen wird. Dieser Kurs, sollte er sich durchsetzen, wird unweigerlich zum Ruin der Partei führen. Das heißt, damit hätte sich die Linke ausgelebt und die Partei wäre kein Ort mehr für revolutionäre Sozialist*innen.
Mit ihrem militaristischen Kurs konnte sich die „Progressive Linke“ jedoch bisher nicht durchsetzen. Für einige mag das, zusammen mit der in ihren Augen „antisemitischen“ Haltung, die selbst noch im Kompromissantrag „Deeskalation und Abrüstung in Nahost – für Frieden, Völkerrecht – gegen jeden Rassismus und Antisemitismus“ vom Hallenser Parteitag zum Ausdruck kommen soll, ausschlaggebend gewesen sein, die Partei zu verlassen. Es ihnen gleichzutun, und ebenfalls die Partei zu verlassen, weil die PdL eigentlich internationalistischer sein sollte und den Genozid in Gaza klar benennen sollte, hieße, sie den Reformern zum weiteren Ruin zu überlassen, ohne dass etwas Besseres daraus gewonnen wäre. Um zu einer wirklich sozialistischen Partei zu kommen, sollten revolutionäre Sozialist*innen die aktuelle Situation in der Partei nutzen, um gegen die Rechtsverschiebung in den friedenspolitischen Positionen im Parteiprogramm vorzugehen und im Bewusstsein behalten, dass der Erhalt der PdL, wie sie jetzt ist, kein Selbstzweck ist und zunehmende Eigenständigkeit und Organisiertheit des linken antimilitaristischen Flügels auch zu einer neuen Partei hinführen kann.
Warum sind so viele Sozialist*innen noch/wieder außerhalb der Linken?
Mit ihrem Sitz im ursprünglichen Gebäude der KPD und mit ihrem häufigen Bezug auf zwei der herausstehenden Revolutionäre des Kaiserreichs – Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht – sollte die Linke eigentlich die Partei sein, die für revolutionäre Sozialist*innen die erste Anlaufstelle ist. Wer die sozialistische Bewegung in Deutschland kennt, weiß aber, dass es genau umgekehrt ist. Der Zustand der sozialistischen Linken war vielleicht noch nie so durch Spaltung und Zerfaserung geprägt wie heute.
Die sozialistische Bewegung umfasst seit Jahrzehnten schon eine Reihe von getrennten Parteien und jede davon reklamiert für sich, die wahre Fahne des Sozialismus oder Kommunismus hochzuhalten. Zufälligerweise ereignete sich zeitgleich mit der Abspaltung des Wagenknecht-Flügels von der PdL auch eine interne Spaltung in linken Flügel der PdL. Das für den Aufbau der Partei prägend gewesene Netzwerk marx21 teilte sich gleich in drei neue Organisationen (wobei nur eine davon den alten Namen behalten hat). Die zwei linksradikaleren Abspaltungen haben der Partei mittlerweile den Rücken gekehrt und bauen „eigenständige“ revolutionäre Organisationen auf. Der Rest von marx21 hält nun mit seinen alten revolutionären sozialistischen Grundüberzeugungen hinterm Berg, um mit dem Reformerlager zu paktieren. In den Jahren davor spaltete sich bereits eine andere trotzkistische Organisation, die seit deren Gründung in der Linken arbeitet: Die SAV ist seitdem einmal als Sol und dann noch als SAV weiter in der Linken vertreten.
Doch der Blick aus der Partei heraus ist nicht weniger frustrierend. Auf den Luxemburg-Liebknecht-Demonstrationen und den 1. Mai-Demonstrationen bewundere ich in den letzten Jahren die Vielfalt an sozialistischen und kommunistischen Organisationen in Deutschland. Diese Ereignisse lassen mich jedes Mal denken, dass die sozialistische Bewegung ja tatsächlich stark ist, wenn sie zusammenhält. Doch jede Organisation ist dort mit ihren eigenen Materialien und ist vor allem darum bemüht, neue Mitglieder für die eigene revolutionäre Organisation zu gewinnen. Denn natürlich unterscheiden sie sich ganz eindeutig durch eigene Analysen, die sich auf theoretische und strategische Alleinstellungsmerkmale zurückführen lassen, welche eine Eigenständigkeit ganz sicher rechtfertigen. Was für ein Zirkus!
Diese ganzen sozialistischen Kleingruppen sollten sich fragen, ob eine Organisation mit ihrer Mitgliederbasis tatsächlich mal einen Einfluss auf eine revolutionäre Massenbewegung haben kann. Wenn sich dieser Moment in Deutschland ergeben sollte, dann wird es eher sektiererische Grabenkämpfe in den spontan entstehenden Räten der revolutionären Massen geben, wenn alle diese Organisationen ihre Konkurrenz und ihr Buhlen um Mitglieder dort fortsetzen. Für den hoffentlich bald kommenden revolutionären Moment muss die sozialistische Bewegung hierzulande vorbereitet sein. Sie muss bereits ein wohl überlegtes revolutionäres Programm unter sich diskutiert haben, damit es der Bewegung der sich selbst befreienden Arbeiter*innen zur Orientierung angeboten werden kann. Sie muss sich außerdem auf Politiker*innen einigen, die bereits ein Profil in der Öffentlichkeit haben, um eine sozialistische Regierung stellen zu können, die die notwendige Transformation der Gesellschaftsstruktur durchsetzen kann. In kurz: Für ein Gelingen einer sozialistischen Revolution braucht es eine sozialistische Partei, die bereits im deutschen Parteienspektrum etabliert ist und eine Massenbasis besitzt. Von allen vorhandenen Parteien in Deutschland hat nur Die Linke das Potenzial zu einer solchen Partei zu werden. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass eine solche Partei erst durch den Zusammenschluss eines internationalistischen sozialistischen Flügels der PdL mit kleineren sozialistischen Parteien zustande kommt. Zu betonen ist aber, dass nur die PdL jene Massenbasis bereitstellen kann, die für eine erfolgreiche revolutionäre sozialistische Partei notwendig wäre.
Als Grund für organisatorische Abspaltungen nennen Revolutionäre gerne die Prinzipientreue Lenins und der Bolschewiki, sowie die Notwendigkeit einer revolutionären Führung. Dieser Verweis sollte allerdings zu denken geben, denn: Eine revolutionäre Kleingruppe hat noch nie eine Revolution angeführt! Der Name “Bolschewiki” heißt nicht umsonst auf deutsch “Mehrheit”, denn vor der Abspaltung der Strömung Lenins von der Russischen Sozialdemokratischen Partei kämpfte er in dieser um die programmatische Ausrichtung der gesamten Partei und konnte deshalb eine produktive Spaltung von den Menschewiki erreichen, die zugleich eine programmatische Klärung für die neue bolschewistische Partei bedeutete. Heutige “Bolschewisten” genügen sich allerdings darin, die Auseinandersetzung in ihren propagandistischen Flugblättern und Zeitungen zu führen und bleiben somit faktisch in theoretischer Einmündigkeit unter sich. Wer eine Massenbewegung anführen will – und nichts Anderes wird die kommende Revolution sein -, muss aber auch Erfahrung mit Massen haben. Und die Erfahrung mit proletarischen Massen müssen sich Revolutionär*innen vorher aneignen. Diese wird nur schwer im revolutionären Moment nachzuholen sein. Die Linke bietet aktuell die besten Bedingungen zum Aneignen dieser Erfahrungen – schon allein wegen des enormen Zuwachses an jungen Menschen. Auch die Auseinandersetzung mit den Reformern dient zur Übung, um eine revolutionäre Massenbewegung anleiten zu können, in der ebenfalls zu erwarten ist, dass konstant gegen reformistische Ansichten zu argumentieren sein wird. Die innerparteiliche Auseinandersetzung bereitet insofern auf die Revolution vor, in der Massen spontan politisiert werden, die niemals einen Text von Marx gelesen haben.
Schließlich ist Die Linke momentan auch das nächste, was in Deutschland an eine proletarische Massenpartei mit sozialistischem Anspruch herankommt. Zwar sind Zweifel an der proletarischen Basis der PdL angebracht. Sie sollte ihren Charakter als akademische Partei der Mittelschicht definitiv überwinden. Gleichwohl muss man anerkennen, dass die Linke mit ihrem demokratisch-sozialistischen Programm, d.h. mit ihrem Fokus auf „soziale Themen“ wie Reichensteuer, Mietendeckel und Enteignung von Immobilienkonzernen vorwiegend die arbeitende Klasse anspricht.
Die Gründe überwiegen also, weshalb revolutionäre Sozialist*innen in der PdL organisiert sein sollten und ihren sektiererischen Aufbau „eigenständiger revolutionärer Organisationen“ einstellen sollten. Doch diese Entscheidung sollte nicht mit dem Ziel gemacht werden, innerhalb der Partei das eigene Netzwerk oder die eigene Organisation zu stärken, um sich im nächsten günstigen Moment wieder abzuseilen. Die revolutionäre Mitarbeit in der PdL muss darin bestehen, auf den Aufbau einer wirklich sozialistischen Partei, d.h. einer antiimperialistischen und antikolonialen (kurz: internationalistischen) Partei hinzuarbeiten. Das Ziel sollte sein, dass Die Linke zu einer Partei wird, die mit einer klaren ökosozialistischen Programmatik eine revolutionäre Bewegung anführen kann. Dies wird die Trennung vom oben angeführten Reformerflügel voraussetzen.
Lässt sich Die Linke also auch von links umkrempeln?
Die Frage ist, wie Die Linke zu der Partei werden kann, die in der gegenwärtigen Weltkrise einen Weg hin zu einem globalen Sozialismus aufzeigt. Die Partei Die Linke braucht tatsächlich eine Neubegründung, um ihren Zustand als plurale Partei mit schwammigen Positionen zu überwinden. Für den linken Flügel gibt es dafür zwei Wege, wie wir dies angehen können: 1.) Wir bauen widerständige Basisorganisationen oder Aktivengruppen auf und vernetzen uns untereinander. 2.) Wir vereinen alle bestehenden linken Strömungen innerhalb der Partei und bilden einen Pol, der auch für organisierte oder unorganisierte Sozialist*innen und Kommunist*innen außerhalb der Partei attraktiv ist. Beide Wege – einen von unten und einen von oben – sollten wir parallel verfolgen, um Die Linke in unserem Sinne umzukrempeln.
Als Mitglieder an der Basis der Linken können wir in unseren Basisorganisationen (BOen) eine Politik im Widerspruch zur Parteispitze betreiben, die mehr in unserem Sinne ist. „Basis ist Boss!“ ist das Motto, mit dem sich die Partei weg von einer Stellvertreterpartei bewegt, in der Abgeordnete und ihre Mitarbeiter*innen durch ihre materielle Abhängigkeit vom Staat auch beginnen, sozialdemokratische Politik zu machen. Die Partei muss als Ganzes einen Wandel durchmachen, der sicherstellt, dass die Mitglieder an der Basis organisiert sind und dort ihren politischen Meinungsbildungsprozess durchmachen. Parteidemokratie muss von ganz unten bis ganz oben durchlässig sein. Ein Posten im Bundestag darf niemals Anlass dafür sein, nicht mehr zu den regelmäßigen Treffen an der Basis zu gehen. Jeder Posten muss direkt rückgekoppelt sein mit dem, was einfache Mitglieder denken. Dabei muss politische Bildung von im parlamentarischen Betrieb eingebundenen Genoss*innen direkt an neue Mitglieder weitergegeben werden. Die Erfahrungen, die in den Parlamenten gemacht werden, müssen als Anlass für kollektives Lernen gesehen werden. Und die Basis muss ihre öffentlichen Vertreter*innen immer auf den Boden der Tatsachen zurückholen, d.h. ihnen eine direkte Rückkopplung mit den Interessen der Arbeiterklasse geben. Dieses Idealbild einer sozialistischen Mitgliederpartei muss von unten aufgebaut werden und kann nicht von oben dekretiert werden. BOen lassen sich nach Parteisatzung frei bilden. Es braucht also nur ein paar rebellische Mitglieder, um die verstaubte Parteidemokratie in Ortsverbänden ohne Basisorganisationen aufzumischen.
Und dennoch wird man auch als etablierte BO in Konflikt mit der Parteispitze kommen, deren Politik man des Öfteren gar nicht selbst vertreten will, wenn sie sich mal wieder an den bürgerlichen Mainstream angepasst hat. Deshalb ist es wichtig, dass sich auch die bestehenden linken Strömungen in der Linken neuformieren und ihre alte Zergliederung überwinden. Wie ausgeführt steht auf der Parteirechten ein Flügel, der mittels Anpassung an die stattfindende Militarisierung in Gegnerschaft Russlands (und Chinas) mehr Regierungsverantwortung für Die Linke erreichen möchte. Gegen diese Parteirechte sollte sich der linke Flügel als dezidiert sozialistischer und internationalistischer Flügel vereinen. Bisher gibt es aufgrund von parteihistorischen Gründen Zusammenschlüsse in der Partei, die sich „antikapitalistisch“, „sozialistisch“, „kommunistisch“, „bewegungsorientiert“ und „ökologisch“ nennen. Es braucht nur einen linken Pol, der den imperialistischen Charakter des globalen Kapitalismus erkennt, eine sozialistische Perspektive aufzeigt und die Partei zum Motor von sozialen Bewegungen und Klassenkämpfen macht. Wenn sich dieser Pol formiert, kann er möglicherweise hegemonial in der Partei werden und die Partei aus dem Vorstand heraus neu begründen. Das würde eine Abspaltung überflüssig machen. Denn dann würden weitere Parteirechte freiwillig austreten und aufhören die PdL „konkurrenzfähig“ mit linksliberalen Parteien machen zu wollen, während sie in bereits bestehenden linksliberalen oder sozialdemokratischen Parteien besser aufgehoben wären.
Die Kontroverse mit dem rechten Flügel muss allerdings zugespitzt werden, was der bisherigen Taktik des linken Flügels widerspricht, zum Erhalt der Partei die innerparteilichen Differenzen durch Formelkompromisse zu kaschieren. Der linke Flügel der Partei sollte eine Spaltung mit den Reformern in der Tat nicht scheuen. Er sollte selbstverständlich den Kampf um die ganze Linke führen, weil es darum geht, die ganze Partei mit ihrer Geschichte, ihren Ressourcen und ihrer Mitgliederbasis zu gewinnen. Seine Sache sollte es sein, den innerparteilichen Kampf mit der Parteirechten aufzunehmen und dabei das klare Ziel einer sozialistischen und internationalistischen Partei zu vertreten. Für dieses Ziel stehen uns revolutionär-sozialistische und kommunistische Akteure außerhalb der Partei näher als so einige prominente Mitglieder innerhalb der Partei. Das Ziel des linken Flügels müsste allerdings klar formuliert und als Kampfansage an den rechten Flügel ausgesprochen werden. Was jetzt folgt ist daher ein Vorschlag, wie die sozialistische Partei beschaffen sein kann, die aus der PdL hervorgehen sollte.
Plädoyer: Für eine andere Linke
1. Eine internationalistische und sozialistische Partei: Was wir zum Sturz des Kapitalismus in Deutschland brauchen, ist eine revolutionäre Massenpartei mit proletarischer Basis. Diese sollte eine dezidiert sozialistische und internationalistische Ausrichtung haben. In den imperialistischen Auseinandersetzungen unserer Zeit sollte sie den Standpunkt des globalen Proletariats vertreten und daher den antikolonialen Kampf des Globalen Südens unterstützen. Sie braucht eine glasklare Programmatik, die sich nicht zur Möglichkeit der Regierungsbeteiligung an reformistischen Parteien wie die SPD oder die Grünen anbiedert. Ihre Kraft zur Veränderung liegt in Massenbewegungen außerhalb der Parlamente, die sie durch ihre Propaganda in den Parlamenten nur zur eigenen Aktivität motivieren kann.
2. Eine marxistische und vorausgehende Partei: Sie sollte organisierend und unterstützend in sozialen Bewegungen wirken, selbst wenn diese noch keinen Massencharakter haben. Sie wirkt auch da gemäß ihrer sozialistischen Programmatik, um die Interessen der globalen Arbeiterklasse und Unterdrückten zu vertreten und somit die Klasse ihrer eigenen Interessen bewusst zu machen. Eine linke Partei sollte sich also keineswegs scheuen, vorauszugehen und damit riskieren, isoliert zu wirken. Eine historisch-materialistische Analyse der globalen Verhältnisse sollte sie darin versichern, dass sie keineswegs isoliert ist, wenn sie für die Interessen des weltweiten Proletariats eintritt.
3. Eine nicht-sektiererische Massen- und Mitgliederpartei: Für den Eintritt in die sozialistische Partei kann es keine Voraussetzung sein, eine fertige marxistische Haltung einzunehmen. Allerdings muss die Partei dafür sorgen, dass ihre neuen Mitglieder schnell auf den Stand gebracht werden, dass sie genau dazu in der Lage sind. Es ist also die Aufgabe der Partei, eine ansprechende und niedrigschwellige Bildung zur historisch-materialistischen Analyse der Weltlage zu vermitteln. Mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat Die Linke bereits eine dafür nutzbare Struktur. Bildungsmaßnahmen sollten aber bereits direkt in den Basisorganisationen angeboten werden. Da Die Linke als Partei und mit ihrer Stammmitgliedschaft mehrere Jahrzehnte Erfahrung im linken und marxistischen Diskurs hat, sollte es ein leichtes sein, ältere Genoss*innen für Vorträge direkt in den BOen zu aktivieren.
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Eine Partei dieser Art durfte ich in Irland mit People Before Profit erleben. Irland mag aufgrund seiner kolonialen Geschichte der beste Nährboden für eine internationalistische Partei sein. Die klare ablehnende Haltung zum Genozid in Palästina in der irischen Bevölkerung ist ein Indiz dafür, warum Irland eine radikalere und weniger opportunistische politische Linke hervorbringen kann. Jedoch hat PBP auch auf theoretischer Ebene einen Beitrag zur marxistischen Parteienkonzeption geleistet. Der Generalsekretär von PBP, Kieran Allen, nennt die Partei eine Übergangsorganisation hin zu einer revolutionären Massenpartei. PBP zeichnet sich nämlich durch eine nicht-sektiererische Haltung aus, die allerdings durch eine marxistische Prinzipientreue auf sozialistischem Kurs gehalten wird. Entscheidend am Parteiaufbau von PBP ist, dass es mit dem Socialist Workers Network einen offenen revolutionären Kern gibt, der von der Führung organisiert wird. Insofern ist PBP offen für Linke jeglicher Art und jeglichen Wissensstandards. Mitglieder von PBP entwickeln sich jedoch durch die marxistische Bildung und die demokratischen zentralistischen Debatten zu prinzipientreuen Revolutionären, die das parlamentarische System nutzen, um die Arbeiterklasse im Land aufzuklären und zur Selbstaktivität zu agitieren. In Deutschland gibt es andere gesellschaftliche Bedingungen, das Modell der Übergangsorganisation lässt sich jedoch auch hier als Ideal für eine neue Partei Die Linke verwenden.
Der Zeitpunkt, um die Partei in dem hier angerissenen Sinn umzukrempeln, war nie besser. Denn die Situation nach der Bundestagswahl bietet die Gelegenheit, mit den vielen Neueintritten eine echte sozialistische Partei aufzubauen. Dafür muss der linke Flügel der Partei auf Bundesebene auf den Parteitagen für eine klare sozialistische Programmatik und in der Tagespolitik für eine klare antiimperialistische und antikolonialeHaltung kämpfen. An der Basis der Partei sollten sich revolutionäre Sozialist*innen für eine Neubegründung der Partei selbst organisieren und vernetzen. Revolutionäre sozialistische Gruppen und Individuen außerhalb der Partei sollten an diesem Prozess jetzt teilnehmen und aufhören, danebenzustehen. Für eine sozialistische Transformation innerhalb eines revolutionären Bruchs mit dem Kapitalismus braucht es eine sozialistische Massenpartei – eine solche kann Die Linke werden. Es braucht eine andere Linke.
- PBP wurde von der trotzkistischen Socialist Workers Party aufgebaut, einer Schwesterorganisation der britischen SWP, deren International Socialist Tendency in Deutschland mit marx21 vertreten war. Dazu mehr weiter unten. ↩︎
- Die Broschüre „Was ist Sozialismus heute?“ eines ehemaligen Parteivorsitzenden und einer ehemaligen Vorstandsmitglieds (Riexinger & Zelik, 2024) deutet darauf hin, dass sich die PdL weiterhin um einen aktuellen Sozialismusbegriff bemüht. ↩︎
- Vgl. Losurdos Der Westliche Marxismus. S. 48ff., 63ff. ↩︎